Ob das mit dem Tarp so eine schlaue Idee ist, frage ich mich, als die Mücken angreifen. Ein richtiges Zelt könnte man einfach hinter sich schliessen und die Plagegeister blieben draussen. Um Gewicht zu sparen, haben wir aber nur ein Tarp als Schutz gegen Regen dabei. Und mit Mücken hatte ich ehrlich gesagt auf 2300 Metern nicht mehr gerechnet. Doch anscheinend dient der kleine flache See, an dem wir lagern, auch in dieser Höhe noch als Brutstätte. Als wir vor ein paar Stunden mit unseren Bikes hier ankamen, war nichts davon zu bemerken.
Beste Mehrtagestour der Schweiz
Es ist der erste Abend auf unserer Runde um den Grand Combin. Ausgeschildert als «Tour des Combins» führt die Route einmal um das dreigipfelige Massiv des 4000ers. Die Hälfte des Weges liegt in der italienischen Region Aosta und die andere Hälfte im Wallis. Die Tour des Combins ist kürzer und hat weniger Höhenmeter als beispielsweise die Tour du Mont-Blanc, die nur ein paar Kilometer weiter nordwestlich verläuft. Aber dafür ist es rund um den Combin deutlich ruhiger. Wanderer laufen die 120 Kilometer in sechs Tagen. Mit dem Velo benötigt man drei. Die Runde gilt als eine der besten Mehrtagestouren mit dem MTB in der Schweiz.
Doch zurück zu den Mücken. Eigentlich sind wir nach den ersten 40 Kilometern längst bereit für die Schlafsäcke, aber wir müssten uns komplett darin verkriechen, um nicht zerstochen zu werden. Lieber suchen wir kurzfristig unser Heil in der Flucht und laufen ein paar Meter auf eine kleine Geländekante und hoffen dort noch etwas Wind und dadurch Ruhe zu finden. Eine halbe Stunde später ist es den Plagegeistern anscheinend auch zu dunkel und so wagen wir uns zurück in unser Lager. Am nächsten Morgen sehen wir die Sonne nur kurz, während wir Müsli mit Milchpulver und Wasser anrühren. Aus der Richtung des Combin ziehen dunkle Wolken herüber. Dabei steht heute die Königsetappe an. Zwei Pässe wollen wir schaffen. Die erste Passhöhe können wir gerade noch sehen, bevor auch sie sich mit Wolken füllt. Über das Fenêtre de Durand wollen wir von Italien ins Wallis wechseln. Der 2797 Meter hohe Übergang ist höchster Punkt und Schlüsselstelle der Tour. Weil wir mit Anfang Juni vergleichsweise früh im Jahr unterwegs sind, liegt dort oben noch Schnee.
Als wir den Lagerplatz verlassen, hat uns der Regen schon fast erreicht, gleichzeitig wird es schnell kühl. Was gestern wie eine Hochsommertour gestartet ist, erscheint jetzt direkt zwei Stufen ungemütlicher. Ich krame Handschuhe und Mütze aus meiner Satteltasche und trage gegen den kalten Wind neben meiner Hardshelljacke auch meine lange Regenhose. Gleichzeitig führt der Trail so steil bergan, dass ich unter den wasserdichten Sachen mein eigenes Dampfbad eröffne.
Aber mit dem Velofahren ist bald Schluss. Der Pfad verschwindet im Schnee. Wir schieben zunächst in Serpentinen die Altschneefelder hinauf. Doch die Velos rutschen uns dabei immer wieder seitlich weg. Während man selbst nur wackelig im Schnee steht und dann das vollbeladene Bike ins Rutschen kommt, muss man sich ziemlich konzentrieren, um nicht zusammen zurück ins Tal zu rodeln.
Wir beschliessen in direkter Linie aufzusteigen, dann können wir die Bikes etwas besser halten. Warum wir die Velos nicht gleich tragen? Jedes ist vollbepackt mit einer Lenkerrolle, einer Rahmen- und einer Satteltasche – das trägt sich auch nicht besser. Immerhin ziehen die Regenwolken zügig weiter und das Gelände flacht irgendwann ab. Die letzten Meter zum Pass sind sogar schneefrei.