Bushcraft - das eigene Leben besitzen
11. Januar 2021
Bushcrafting ist für Philippe weit mehr als das Beherrschen von Survival-Skills. Er berichtet von Abenteuern im Canyon, wie du Anfängerfehler vermeidest und wieso einem das Handwerk der Wildnis auch in einem dicht besiedelten Land wie der Schweiz weit mehr von Nutzen ist, als man auf den ersten Blick vermuten könnte.
Fotos: Raphael Zeller
Wie Schatten durch die Natur
Philippe, was bedeutet für dich Bushcraft?Was wir heute als Bushcraft bezeichnen, ist eine Softversion von Survival. Eigentlich war es bis zum 2. Weltkrieg der Alltag der meisten Menschen. Bushcraft ist eine Mischung von Natur und Handwerk. Es ist das Leben, wenn wir Menschen nicht alles beherrschen. Es ist für uns das akzeptieren von Grenzen. Bushcraft verlangt von uns eine grosse Anpassungsfähigkeit, Beobachtungsfähigkeit, Wachsamkeit und Genügsamkeit. Bushcraft ist Leben in unserer natürlichen Umgebung. Und diese kommt manchmal schneller zurück als uns lieb ist. Sobald der Energiefluss unserer modernen Welt nicht mehr stattfindet: beispielsweise bei einem Erdrutsch, einer Strompanne oder ähnlichem.
Was hingegen Bushcraft nicht ist, sind Holzburgen im Wald bauen, Überreste von Unterständen zurück lassen und so weiter. Und bei Trockenheit ist Feuer keine gute Idee. Es macht dann wenig Sinn und ist zudem gefährlich. Ich glaube, wir sollten wie Schatten vorbei gehen. Letztlich bedeutet Bushcraft für mich, das eigene Leben zu besitzen. Ich kontrolliere das, was ich kann und passe mich beim Rest an. Es ist die totale Verantwortung.
Bushbox, Feuerstein und Unterschlupf
Feuer machen ohne Feuerzeug − wie lerne ich das?Erfolg braucht Geduld und viel Material. Je «schlechter», also in diesem Fall je feuchter, die Verhältnisse sind, desto mehr Material brauchst du. Die Funken, die wir durch Feuerstahl oder beim Feuerbohren herstellen, haben relativ wenig Energie. Wir müssen sie also sorgfältig einfangen und vermehren. Dafür brauchen wir Materialien mit einer grossen Oberfläche. Harzhaltiges Holz ist interessant, da das Harz sogleich verdampft und sich leicht entzündet. Das selbe gilt für Birkenrinde. Wichtig ist genug Material: Wenn die erste kleine Flamme weiteres Material noch trocknen muss, dann muss sie dementsprechend lange brennen können. Es gibt keine Abkürzung.
Benutzt du lieber eine Bushbox als einen Kocher?
Klar, die Bushbox bevorzuge ich aus Liebe zum Feuer, weil ich den Rauchgeschmack in meiner Kleidung liebe. Als Kind war ich fasziniert von einem Feuer, dass ein Freund meiner Eltern auf dem Schnee entfacht hatte. Wir sassen auf 1.5 Meter Schnee und wärmten unser Essen am Feuer. Das blieb mir in Erinnerung. An der Bushbox mag ich die sichtbaren Konsequenzen im Hier und Jetzt: Das Holz habe ich in der Nähe selbst gesammelt. Die Ressourcen, die das Feuer kostet, sind also direkt sichtbar. Aber auch Kocher haben ihre Berechtigung und ich nutze sie gerne. Ihre Effizienz und kleine Grösse sind unschlagbar und -mit grosser Vorsicht- kann ich sie auch mal im Auto oder im Zelt einsetzen.
Mit Übung. Eine definitive Antwort gibt es nicht, weil es immer auf die herrschenden Verhältnisse und Bedingungen ankommt. Im Sommer ist ein leichter Wind willkommen − er bringt Kühlung und weniger Insekten. In der kalten Jahreszeit ist es genau anders herum, dann wir möchten geschützt sein. An Bäumen abzuspannen ist naheliegend, mit etwas Übung sind Ausrüstungsgegenstände wie Trekkingstöcke oder Paddel nutzbar.
Natürlich kommt es darauf an, wofür du das Tarp brauchst. Soll es eine Gruppe während der Rast schützen oder übernachten ein, zwei Personen darunter? Unterschiedliche Zwecke verlangen unterschiedliche Orte.
Richtig vorbereiten
Welche Fehler passieren Anfängern häufig und liessen sich leicht vermeiden?«Abkürzungen» nehmen. Damit meine ich den Hang zur Faulheit, den wir Menschen manchmal haben. Wenn wir können, nehmen wir den einfachsten Weg. Häufig wird dann geschummelt: «Es ist gut genug, es wird schon nicht regnen, der Wetterbericht ist gut...» Mit wachsender Erfahrung kann man weniger Reserven einbauen, aber gerade am Anfang ist es wichtig, alles korrekt zu machen. Wo kommt das Wetter her? Könnten Unfälle mit Bäumen oder Felsschlägen passieren? Treffen wir auf wilde Tiere, von der Zecke bis zum Tiger? Wenn du dir solche Fragen vorab stellst, ist das die halbe Miete.
Die Schweiz ist klein und dicht besiedelt. Macht das Üben von Survival-Skills trotzdem Sinn?
Der Menschendruck in der Schweiz ist in der Tat massiv. Ich finde jedoch, dass Bushcraft dadurch interessanter wird. Denn sie verlangt Wachsamkeit. Und von dieser erhoffe ich mir mehr Verständnis für die Beziehungen, die unsere Welt regieren. Alle lieben die Natur, aber wenn sie in der Form eines Wolfes daherkommt, wird erst einmal geschossen. Ich denke, wir können unsere Welt nicht nur wirtschaftlich bewerten. Auch die momentanen, unangenehmen Situationen gehören dazu.
Ich bin definitiv kein Materialfreak. Mein Poncho von Exped ist bald 20-jährig. Was gut ist, bleibt gut. Ultralight Ausrüstung gegenüber bin ich etwas skeptisch eingestellt, bei mir würde es zu schnell kaputt gehen. Für besondere Projekte hat es jedoch auf jeden Fall seine Berechtigung. Im Langzeiteinsatz kommt das Material an seine Grenzen.
Flut im Canyon
Musstest du deine Survival-Fertigkeiten auch schon unfreiwillig nutzen?Da denke ich an die sechs «P's»: Proper Planning and Practice Prevent Poor Performance! Ich habe gerne immer etwas Reserve dabei. Eimmal war ich wegen der Flut für eine Nacht in einer Flussbiegung blockiert. Ein Freund und ich wollten im Rahmen eines Survivalkurses der Gruppe entgegenwandern, doch Flussaufwärts gab es ein Gewitter. Der Canyon zwang uns, den Fluss in jeder Kurve zu durchqueren, bis die Flut plötzlich unseren Weg versperrte. Sie blockierte auch den Rückweg, nun kamen auch grössere Baumstämme den Fluss runter. So haben wir die Nacht an Ort und Stelle verbracht. Ich hatte mein Reserve-Material dabei, eine Decke und meinen Poncho. Es war ungewollt, aber trotzdem gemütlich. Am Morgen war die Flut vorbei und wir erreichten die Gruppe. Sie hatte vor dem Canyon übernachtet und von der Flut nichts mitbekommen.
Was fasziniert dich daran, im Winter draussen zu sein?
Die kalte Jahreszeit verlangt viel. Deine Fehler kriegst du direkt zu spüren. Der Winter verlangt auch mehr Reserven, die Kälte wirkt bei Problemen wie ein Vergrösserungsglas. Oft merken wir das nicht, weil die REGA oft das Schlimmste verhindern kann.
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