Schützen, was noch übrig ist

27. Dezember 2021

Skigebiete, Bikeparks, Wanderwege – immer mehr Menschen strömen in ihrer Freizeit in die Alpen. Jan Gürke von Pro Natura erklärt, warum der Schutz von Wildnisgebieten so wichtig ist und was wir tun können, um unseren Einfluss auf die Natur möglichst gering zu halten.

Fotos: Archiv Pro Natura

Redaktor, 4-Seasons
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Gibt es in der Schweiz noch «echte Wildnis»?
Jan: Ja, im Alpenraum finden wir die letzten grösseren zusammenhängenden Gebiete in Mitteleuropa, die kaum vom Menschen beeinflusst sind. Dort kann sich die Natur dynamisch und frei entwickeln, ohne dass der Mensch regulierend eingreift. Das ist Wildnis. Es ist aber auch klar, dass diese Landschaften nicht absolut unberührt sind und nicht so weitläufig wie zum Beispiel im Norden Kanadas. Die grössten wildesten Landschaften der Schweiz liegen in den Alpen oberhalb der Baumgrenze – Gletscher, Felswände, Schutthalden, Bergbäche, Hochmoore – Landschaften, die historisch gesehen schwierig zu erschliessen und zu nutzen waren, sind als letzte Wildnisinseln erhalten geblieben. Aber auch kleine wilde Gebiete in den Voralpen, im Jura und im Mittelland sind wichtig und müssen erhalten und gefördert werden.

Wie ist der Bergiff «Wildnis» überhaupt definiert?
J: Die International Union for Conservation of Nature (IUCN) definiert ein Wildnisgebiet als «grosses Gebiet ohne bedeutende Besiedlung oder Veränderung, das zum Schutz der Wildnis in seinem natürlichen Zustand erhalten werden soll». In der Schweiz gibt es nur ein einziges, nach IUCN-Standard geschütztes, Wildnisgebiet. Das ist der Nationalpark im Unterengadin, gegründet im Jahr 1914. Es ist ein Trauerspiel, dass die Schweiz es seit über Hundert Jahren nicht schafft, weitere ursprüngliche Naturlandschaften als Nationalpärke oder Wildnisschutzgebiete vor Erschliessungsprojekten und störenden Nutzungen zu bewahren.

Warum braucht es Landschaften, die nur wenig vom Menschen beeinflusst werden?
J: Erstens für die Biodiversität: Es gibt eine Vielzahl von Tieren, Pflanzen und Pilzen, die nur in Lebensräumen vorkommen, wo die Natur sich frei entwickeln kann. Wenn der Mensch die Ökosysteme und die natürlichen Prozesse stört, verschwinden diese Arten, sie sterben lokal aus, vielleicht für immer. Zweitens für die Wissenschaft: Gerade in Zeiten der Klimaerwärmung gibt es viele Entwicklungen, die die Wissenschaft nicht sicher vorhersagen kann. Wildnisgebiete sind sozusagen Freiluftlabore, die uns viele Erkenntnisse über zukünftige Veränderungen der Natur liefern können. Drittens für die Erholung: Der Bedarf an Freizeit und Erholung in der Natur ist so gross wie wahrscheinlich nie zuvor – überall werden rekordhohe Besucherzahlen beobachtet. Und hier beisst sich die Katze in den Schwanz. Je mehr Leute rausgehen, desto besser müssen wir aufpassen, dass wir das bewahren, was wir dort draussen suchen.

Wie wirken sich Skigebiete auf die Natur aus?
J: Wenn wir Skigebiete im Sommer anschauen, zeigen sie die Narben im Landschaftsbild. Liftstationen, planierte Pisten mit degradierter Vegetation, Speicherseen für Beschneiungsanlagen, Schneekanonen und Pistenrestaurants mit ihren Zufahrtsstrassen sind keine Augenweide. Der Bewuchs ändert sich durch die Planierungen, die Bedeckung mit Kunstschnee und den Eintrag chemischer Stoffe. Die Lebensräume vieler Tierarten werden durch Infrastrukturen, Lärm und Beleuchtung zerstört oder zerschnitten – nicht nur im eigentlichen Skigebiet, sondern auch im angrenzenden Umfeld.

In der Schweiz gibt es bereits mehr als 7000 Kilometer Skipisten. Warum werden immer wieder Skigebiete erweitert bzw. neue Gebiete erschlossen?
J: Der Konkurrenzkampf zwischen den Skigebieten tobt. Die Klimaerwärmung verkürzt die Saison und verringert die Einnahmen in tiefen und mittleren Lagen. Die Kredite für Beschneiungsanlagen müssen abgezahlt werden und die Anzahl der Skifahrer und Snowboarderinnen steigt derweil nicht weiter. Jedes Gebiet will attraktiver sein als die anderen. Die grossen Destinationen versuchen ihre Zukunft durch den Ausbau in hohen, schneesicheren Lagen zu retten.

Achtsam unterwegs

Wir von Transa helfen dir mit unserem Angebot dabei, kleine und grosse Abenteuer draussen zu realisieren. Die Balance zwischen Outdoor-Liebe und Naturschutz zu finden, ist nicht einfach. Bei diesen Partnern beziehen wir Tipps zum naturverträglichen Draussensein: sac-cas.ch, mountainwilderness.ch, pronatura.ch, protectourwinters.org, summit-foundation.org, natur-freizeit.ch

Haben Skitourengeher einen negativen Einfluss auf die Natur?
J: Ja, leider haben auch Skitourenfahrer, Freeriderinnen und Schneeschuhgeher negative Auswirkungen auf die Natur. Der Vorteil ist, dass nur sehr wenige Infrastrukturen nötig sind, abgesehen von Hütten. Der Nachteil ist, dass Skitourengeher und Co. sich schwieriger kanalisieren lassen als Pistenfahrer. Wir ziehen unsere Spuren quer durch den Lebensraum der Wildtiere. Die Tiere benötigen zur Fortbewegung und insbesondere zur Flucht im Schnee enorm viel Energie, die sie wegen des geringen Nahrungsangebots nicht wieder aufstocken können. Bei häufigen Störungen überleben sie den Winter nicht. Diese negativen Einflüsse können wir aber durch naturverträgliches Verhalten recht gut eingrenzen. Hier setzt die Sensibilisierungsarbeit von Pro Natura, Mountain Wilderness, SAC und anderen Organisationen ein.

Was kann ich als Skitourengeher tun, um meinen Einfluss möglichst gering zu halten?
J: Mit ein paar einfachen Regeln können wir Störungen für Wildtiere vermeiden: Wir bleiben auf offiziellen Skitouren- und Schneeschuh-Routen und respektieren Wildruhezonen und Wildtierschutzgebiete. Wir meiden Waldränder und schneefreie Flächen. Hunde nehmen wir an die Leine. Wir machen keine Touren während der Dunkelheit. So können sich die Wildtiere daran gewöhnen, wo und wann wir unterwegs sind, und sich in ihre Ruheräume zurückziehen. Ausserdem verringert eine Anreise mit Bahn, Bus und Alpentaxi den ökologischen Fussabdruck wesentlich gegenüber dem Auto. 

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