Waldspaziergang durch die Zeit

15. September 2021

Simona verbrachte ihre halbe Kindheit in den Wäldern rund um Aarau. Heute studiert sie Mediävistik. Für den letzten Teil ihrer Serie hat sie den Förster Martin Blattner getroffen, um mehr über die heutige Forstwirtschaft zu lernen und sie mit der Nutzung der Wälder im Mittelalter zu vergleichen.

Fotos: Raphael Zeller

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Martin, was ist deine Aufgabe hier im Wald?
Ich bin Betriebsleiter vom Forstbetrieb Jura. Wir bewirt­schaften die Wälder von Erlinsbach, Küttigen und Densbüren. Als Revierförster dieser Fläche bin ich für diese Waldungen zuständig und bewirtschafte sie zusammen mit einem Team von sieben bis neun Personen.

Ist jeder Zentimeter Wald hier bewirtschaftet?
Nein, wir haben viele nicht bewirtschaftete Waldflächen, die unter Naturschutz stehen. In Erlinsbach und Küttigen haben wir das grösste Naturwaldreservat im Kanton Aargau. Das sind Gebiete, die für 50 Jahre komplett aus der Nutzung herausgenomme­­n werden. Es geht dort darum, die natür­lichen Prozesse ablaufen zu lassen. Ein Wald kommt irgendwan­­n in eine Zerfallsphase, in der die alten Bäume ihr natürliches Höchstalter erreicht haben und zusammen­fallen. Das Totholz ist dann die Grundlage für neues Leben im Wald. Das führt zu einer viel grösseren Biodiversität.

In einem Naturwaldreservat könnt ihr also kein Holz schlagen. Bedeutet das auch keinen Ertrag?
Wir machen nur rund ein Drittel unseres Umsatzes mit dem Holzverkauf aus dem Wald. Der Rest sind Naturschutzarbeiten, die vom Kanton subventioniert sind, Arbeiten für die Gemeinde­­n im Dorf und für viele Private, die Bäume in den Gärten fällen lassen wollen. Wir verdienen unser Geld eigentlic­­h ausserhalb des Waldes.

Anfänge der Forstwirtschaft: Der Begriff «Förster» taucht erstmals im 18. Jh. auf. Der Beruf hat jedoch eine lange Vorgeschichte, die bei dem königlichen Bannwald im Mittelalter beginnt. Das waren die ersten Ansätze einer Forstverwaltung.

Ist Holz aus der Schweiz besonders gefragt?
Die Nachfrage nach inländischem Holz ist grösser geworden. Das ist gut, denn wir rühmen ja das Holz immer als klimafreundlichen Baustoff, oder? Für mich funktioniert dieses Argument aber nur, wenn es regionales Holz ist. Aber Max Mustermann kauft im Baumarkt eine Dachlatte und denkt, er macht etwas Gutes, weil er Holz kauft. Woher diese Dachlatte kommt, das ist ihm vielfach gar nicht bewusst. Zum Teil wurde dieses Holz vorher um die ganze Welt geschifft. 70 Prozent des Holzes, das in der Schweiz verbaut wird, ist ausländisches Holz. Da verliert für mich dieser Baustoff den Klimavorteil. Aber im Moment versuchen wieder mehr Zimmereibetrieb­­e, inländisches Holz aus inländischen Sägereien zu verarbeiten.

Holz als Handelsgut: Holz war der wichtigste Bau- und Werkstoff im Mittelalter und daher auch ein wichtiges Handelsgut auf den inländischen Wasserwegen. Ab dem 13. Jh. ist auch grenzüberschreitender Handel belegt.

Könnten wir den Bedarf mit inländischen Ressourcen decken, ohne den Wald auszubeuten?
Ja, das können wir.

Wird das Holz in deinem Betrieb auch lokal weiterverarbeitet?
Ja. Wir haben einen sehr hohen Anteil Energieholz. Die Qualität der Baumarten hier im Jura ist nicht optimal für Bauholz. In Erlinsbach und Küttigen haben wir zwei grosse Hackschnitzelheizungen. Das Holz wird im Wald geschlagen, circa 50 Meter an die Waldstrasse transportiert, dort ein Jahr gelagert zum Trocknen, und dann wird es an Ort und Stelle gehackt und danach noch 300, 400 Meter ins Dorf transportiert – und nachher hat man warm.

Historie der Baumarten: Vor rund 5000 Jahren begann die Vorherrschaft von Buchenmischwäldern und in höheren Lagen von Weiss- und Rottannen. Im Alpenraum breiteten sich verschiedene Nadelhölzer wie Föhre, Arve und Lärche aus. Heute ist die Fichte die häufigste Baumart der Schweiz, gefolgt von Buche und Weisstanne.

Pflanzt ihr auch Bäume?
Wir betreiben ein Dauerwaldsystem. Das Ziel: ein mehrschichtiger Waldbestand. Bei uns gibt es keinen Kahlschlag. Pflanzen tun wir nur ganz, ganz wenig. Ich würde sagen, 98 Prozent ist Naturverjüngung. Der Wald verjüngt sich also aus den Samen der vorhandenen Bäume selbst. Es sind wirklich nur einzelne Fälle, bei denen wir aktiv eine Baumart an bestimmten Standorten fördern, den Rest macht die Natur.

Welche Baumarten bewirtschaftet ihr hier?
Die Hauptbaumart ist Buche, die macht etwa die Hälfte aller Bäume aus. Dann etwa 15 Prozent Fichte und der Rest ist quer gemischt. Aber Buche und Fichte sind eigentlich die zwei Baumarten, die 65 Prozent zusammen ausmachen. Es sind aber auch die beiden Arten, die vermutlich im Klimawandel am meisten Mühe haben werden an unseren Standorten. Deshalb fördern wir an gewissen Standorten zum Beispiel Eichen, diese kommen viel besser mit den zu erwartenden trockenen Sommerperioden aus.

Wie hoch ist der Einfluss von uns Menschen auf den Wald?
Der Wald war eigentlich schon immer ein Abbild der Gesellschaft. Er musste immer uns Menschen dienen und die Produkte bereitstellen, die zu dieser Zeit gefragt waren. Und das ist heute natürlich etwas anderes, als es vor 500 Jahren war. Früher brauchte man den Wald zum Beispiel für Schweine und Ziegen zum Weiden. Im Herbst holte man Laub, um den Stall einzustreuen und die Bettdecken und Kissen für den Winter zu stopfen. Und natürlich brauchte man viel Holz zum Heizen. Heute sind es andere Nutzungen des Waldes, die immer mehr in den Fokus rücken: Unser Wald ist multifunktional und dient vor allem auch den Erholungsuchenden. Und wenn wir biken, wandern und grillen, dann hat auch das einen Einfluss auf den Wald.

Ich liebe den Wald und bin gerne hier unterwegs. Wie halte ich meinen Einfluss möglichst gering?
Bleib auf dem Weg und nutze die vorhandene Infrastruktur, egal ob mit dem Bike oder zu Fuss. Eine neue Grillstelle mitten im Wald zu errichten, ist definitiv keine gute Idee. Die Bäume kommen mit dieser plötzlichen Hitze nicht klar und erleiden schnell Brandschäden. Auch das Anlegen von neuen Biketrails ist ein Problem. In den letzten Jahrhunderten haben wir den Lebensraum unserer einheimischen Flora und Fauna nach und nach imme­­r mehr auf die Waldflächen begrenzt – das macht die Wälder umso schützenswerter.

Nachhaltigkeit im Forst: Im Verlauf des Mittelalters stieg die Bevölkerungszahl stark an. In Zusammenhang mit einer intensiven Städtebauphase war der Holzbedarf plötzlich enorm gestiegen und die Wälder wurden ausgebeutet. Obwohl bereits seit dem 14. Jh. gewisse Waldschutzmassnahmen schriftlich belegt sind, wurde der wichtige Grundsatz der nachhaltigen Bewirtschaftung erst 1876 gesetzlich verankert.

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