Weniger ist mehr: MSR

6. Dezember 2020

In Seattle hat Bill Gates Microsoft gegründet, Jeff Bezos Amazon – und Larry Penberthy MSR. Aus «Mountain Safety Research» wurde kein Weltkonzern, doch einer der innovativsten Outdoor-Ausrüster.

Fotos: MSR / Scott Rinckenberger

Autorin, 4-Seasons Magazin
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1968. Mit wehendem Haar und wallenden Schlaghosen feiern in San Francisco die Blumenkinder die Liebe. Mit Helm und Bergschuhen testet derweil ein Stück die Westküste hinauf ein gewisser Larry Penberthy Kletterausrüstung. Der Ingenieur aus Seattle ist ein Tech-Nerd – allerdings nicht einer wie Bill Gates, der damals in Seattle schon erste Compter-Programme schreibt. Larrys scharfer Verstand kreist um Outdoor-Ausrüstung.

Seit er Zeuge eines Kletterunfalls wurde, überprüft Larry für seinen Kletterverein Equipment. Er konzipiert Testreihen, deckt akribisch Schwächen und Fehler auf. Das kommt sehr gut an, erfordert aber auch viel Engagement. Auf Hobby­basis geht es nicht mehr. Larry gründet «Mountain Safety Research, Inc.» – eine Firma, die sich der Sicherheit am Berg verschreibt.

Zelttest auf dem Highway

Neben Forschung und Tests entwickelt Larry auch eigene Produkte. Um seine Ergebnisse und Ideen zu veröffentlichen, startet er einen Newsletter. Unkostenbeitrag: drei Dollar. Bereits die erste Ausgabe 1969 hat 1900 Abonnenten. Minutiös besprich­­t Larry darin einen Eispickel – und verkauft gleich eine Eigenlösung für das aufgedeckte Problem des Testprodukts: nämlich eine Fiberglasverstärkung für den Schaft. Man kann ein MSR-Kletterseil bestellen, ebenso eine ausge­klügelte Iglu-­Bauanleitung samt Schneesäge. Die eigenen Produkte prüft Larry genauso unerbittlich wie alle anderen. Legendär ist sein Zelttest von 1973: In Ermangelung eines Windkanals baut er den MSR-Prototypen auf der Ladefläche seines Pick-ups auf – und gibt auf dem Highway Vollgas. Unkonventionelle Härtetests haben bei MSR bis heute Tradition. Da wird schon mal die Feuerwehr in Seattle gebeten, ein neues Zelt mit maximalem Wasserdruck aus dem grössten Schlauch zu überprüfen. Immerhin: Statt des Pick-ups von 1973 nutzen die MSR-Entwickler inzwischen eine professionelle Windmaschine. Diese Leidenschaft fürs Produkt ist der Grund, waru­­m sich vor gut 15 Jahren Balz Willen aus Uster im Zürcher Oberland um den Schweiz-Vertrieb von MSR bewirbt: «Mit unserer Agentur ICON Outdoor AG widmen wir uns Marken, die berühren. Bei MSR haben sie dieses innere Feuer – die Company brennt für das, was sie tut.»

Neuerfindung des Benzinkochers

Besonders gut brennen auch die Kocher der tüftelfreudigen US-Amerikaner: XGK oder Whisperlite sind heute zigtausendfach bewährte Ikonen. Dabei hatte Larry seinen ersten Kocher lediglich für den Privatgebrauch entwickelt: Unzählige Male besteigt er seinen Hausberg, den 4392 Meter hohen Mount Rainier in den Cascades. In diesen Höhen braucht er viel Flüssigkeit, muss also Schnee schmelzen. So entsteht 1973 ein Benzinkocher, der auch bei Sturm und Eiseskälte funktioniert: Larry konstruiert einen cleveren Windschutz, vor allem aber erfindet er die externe Brennstoffflasche, welche das gesamte Handling enorm erleichtert – heute Standard bei Benzinkochern weltweit. «Das ist doch ein wunderbarer Ansatz», sagt Balz, «dass man Produkte nicht mit einem Verkaufs­gedanken im Kopf entwickelt, sondern weil sie das eigene Outdoor-Leben einfacher oder auch sicherer mache­­n. Das war Larrys Einstellung. Dieser Geist prägt die Marke bis zum heutigen Tag.» Noch immer, betont Balz, ist MSR in der Lage, regelmässig Innovationen auf den Markt zu bringen. Sie lassen sich nicht unter Druck setzen. Sie verschlimmbessern nichts, was funktioniert – nur weil unsere Gesellschaft stets nach Neuem ruft.» Die Kocher-Klassiker sind dahe­­r seit Jahren unverändert: «Sie funktionieren einfach.» Andere MSR-Modelle wie der Reactor Stove oder der wind­dichte WindBurner warten dafür mit völlig neuen Ansätzen auf.

MSR ist in guten Händen

Gleiches gilt bei den Zelten: Die Hubba-Reihe ist seit 2004 erfolgreich am Markt. Material und Detail­­s werden ständig weiterentwickelt, aber das Grundkonzept – eine kluge Kombination aus Kuppel­zelt und Geodät mit einem genialen Gestängesyste­­m – ist bis heute identisch. «Weniger ist mehr, das ist die MSR-Philosophie», sagt Balz. «Ein Produkt ist fertig, wenn man nichts mehr weglassen kann. Dann ist es einfach zu bedienen und schwer kaputt zu bekommen.» Eine besondere Erfolgsgeschichte – gerade in der Schweiz – sind die Schneeschuhe von MSR. Wie viele Berggänger ist Balz im Winter primär auf Touren­ski unterwegs («Ich bin einer, der auch gern­­e runterfährt, wenn er hochläuft») und musst­­e angesichts des Schneeschuh-Booms erst einmal staunen: «Sobald der erste Schnee fällt, stehen die Kunden im Laden: Kinder, Einsteiger, Alpinwanderer, Snowboarder, Bergsteiger – sie alle schätzen die durchdachten und für ihre sehr gute Traktion bekannten MSR-­Modelle wie den Lightning Ascent.»

Inzwischen besitzt Balz selbst ein Paar: «Für die Jagd. Da spare ich im Wald viel Kraft und marschiere sozusagen in den Spuren der Schneeschuh-Erfinder, der Trapper und Fallensteller. 2001 ist MSR-Gründer Larry Penberthy 85-jährig gestorben. Seine Erfindungen bereichern bis heute die Outdoor-Community. Und MSR ist in guten Händen: Sie gehört zu Cascade Designs Inc., dem Hersteller der Therm-a-Rest-Matten. Ebenfalls aus Seattle, ebenfalls an bestem Design interessiert.«Bei Cascade Designs und den Tochterunternehmen steht der Mitarbeiter im Mittelpunkt. Die Wertschätzung des Teams ist aussergewöhnlich», sagt Balz. «Da kann es dann passieren, dass der Europa-Geschäftsführer sichtlich gerührt erzählt, dass sie eine Fabrik in Irland dazukaufen und dadurch viele Arbeitsplätze retten können.» Produziert werden Therm-a-Rest, MSR & Co nämlich grösstenteils in den USA und Irland. Was wünscht ihr euch für die Zukunft der Marke, die ihr schon so viele Jahre begleitet? Balz überlegt nur kurz. «Dass sie weiterhin so kreative Denker bleiben. Dass sie den Mut behalten, sie selbst zu sein und dem Druck des Marktes zu widerstehen.» Die Zeichen dafür stehen gut. Das innere Feuer brennt bei MSR.

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