Sebastian Doerk
Ein Campingstuhl von Helinox gehört bei vielen Campingabenteuern dazu. Bei der Gründung waren die Stühle aber nicht das Ziel. Sissi Pärsch hat das Unternehmen Helinox in Seoul besucht.
Man muss Vertrauen mitbringen. Vertrauen, dass er der Helinox Campingstuhl einen hält und trägt. Ohne zu ächzen und zu stöhnen, ohne ins Wackeln oder Straucheln zu geraten. «Sitzen heisst vertrauen», lacht Mitarbeiter Taehun Jensen Kim. Er musste sich selbst überwinden, als er den ersten Prototypen testete. «Der Stuhl sah so fragil aus. Keinesfalls so, als könne er einen ausgewachsenen Menschen tragen.» Doch das tat er und tut es bis heute. Weniger als ein Kilogramm wiegt er, 145 Kilogramm trägt er. Der «Chair One» ist perfekt ausbalanciert, klein packbar und leicht. Und deshalb eine Ikone aus dem Hause Helinox.
Taehun ist seit dem ersten Tag Teil der Marke, die sich in 16 Jahren einen Kultstatus in der Camping-Szene erarbeitet hat. Er begrüsst uns im Helinox-Kreativzentrum, dem Flagshipstore im Herzen von Seoul, dieser Weltstadt mit über 20 Millionen Menschen im Ballungsraum. Seoul ist eine Metropole, die bebt und lebt, die urban ist und schnell. Seoul ist aber auch eine Stadt, die auf Bergen errichtet wurde und von Nationalparks umringt ist. Die Strassen hier sind so steil, wie der Drang in die Natur gross ist. Seit zwei Wochen sind wir in Südkorea unterwegs und haben von West nach Ost erlebt, wie tief der Naturbezug hier verankert ist.
Zum Finale unserer Reise nehmen wir die Chance wahr, Helinox zu besuchen. Betritt man das Backsteingebäude am Highway 1, spiegelt sich dieser besondere Mix aus Strassenkultur und Outdoor-Fanatismus bestens wider. Taehun – lange Haare, grosse Ohrringe – zupft an seinem Bart und nickt: «Wir suchen immer nach dem Neuen, nach dem Einzigartigen, im Design wie in der Technologie.» Und das tun sie schon weitaus länger, als es Helinox überhaupt gibt. Der Innovationsgeist der «Möbelmarke» ist ein Erbstück.
Jake Lah und sein Sohn Young gründeten Helinox im Jahr 2009. Jake hatte damals bereits längst seine erste Firma aufgebaut – und mit ihr den Zelt-Markt revolutioniert. Jake ist ein Tüftler mit Gründer- und Outdoor-Genen. Seine Mutter hatte den südkoreanischen Pfadfinderinnen-Verband mitgegründet. Er studierte Geschichte und Betriebswirtschaft, als ihn ein ganz anderes Thema packte: Aluminium. Er entwickelte ein besonderes, neues Eloxierungsverfahren, fand neue Verbindungen und Konstruktionen, machte Aluminiumstangen stabiler, dünner, leichter – und wurde so zum Paten der modernen Zeltarchitektur.
Mit seinem seit 1988 bestehenden Unternehmen DAC ist Jake bis heute essenzieller Partner der führenden Zelthersteller – nicht nur als Lieferant, sondern auch als Entwickler und Designer. Sein grösster Abnehmer jedoch ist inzwischen sein Sohn mit Helinox. Eine Geschichte, für die man oben anfangen muss. Ganz oben. Es ist kein Zufall, dass sich auf dem DAC-Gelände in Seoul eine Sternwarte befindet …
«Der Name war eigentlich für ein anderes Projekt bestimmt», erklärt uns Taehun. «Jake arbeitete an einem Teleskop und der Name verknüpft den Gott der Sonne, Helios, mit Nox, der Göttin der Nacht.» Sohn Young entwarf dazu das Logo und gemeinsam tüftelten sie an Lösungen – doch das Himmelsprojekt fand bald seine Erdung in Teleskopstöcken. Und Young – «eine einzige kreative Kraft», wie Taehun sagt – findet sein Spielfeld.
Wenige Jahre später hat Young die Campingmöbel-Industrie auf den Kopf gestellt, wie es sein Vater einst mit den Zelten gemacht hatte. «Die Stühle auf dem Markt waren unbequem, unhandlich und schwer», erinnert sich Taehun an die Anfänge. «Wir wollten Möbel schaffen, die die Welt noch nicht gesehen hat. Die in kleine Autos passen, die man überall mit hinnehmen kann.» Er schnappt sich einen «Chair One» und hebt ihn in die Luft. «So was gab es nicht ansatzweise. Wir mussten alles komplett neu denken. Die Konstruktion, das Material, den Stil.»
Die Aluminiumstangen für die Campingstühle und weitere Produkte stellt Helinox in Südkorea her. Die Stoffe lässt das koreanische Unternehmen in Vietnam produzieren, wo gleich auch alles genäht wird.
Aber die Basis für die Helinox-Produkte sind doch die DAC-Aluminiumstangen? Taehun nickt: «Alle denken, das Geheimnis liegt im Gestänge. Das stimmt natürlich. Aber nur zum Teil. Die Frage ist auch, wie man sie wo einsetzt – und womit.» Er fordert uns auf, genau hinzusehen. «Schaut, die Nähte, die Stoffschichten, das ist wie bei einer Lasagne. Das Geheimnis ist dieses Rezept mit all seinen Bestandteilen.»
Zum Helinox Campingstuhl «Chair One» gesellte sich bald ein Tisch. «Er war weniger kompliziert – allerdings war er so leicht, dass ihn der Wind wegwehte.» Eine grössere Herausforderung waren die Liegen, wie Taehun betont. Die Schwierigkeit war hier, die Spannung zu erhalten und Durchhängern vorzubeugen. Also wieder neue Technologien ausdenken, an der Konstruktion feilen und das optimale Lasagne-Rezept finden.
Der «Chair One» kommt inzwischen in den verschiedensten Varianten mit unterschiedlichstem Zubehör, wie dem gefütterten Überzug oder dem Sonnenschutz. Es gibt den Helinox Campingstuhl «Ground Chair» und das «Sunset»-Modell – und es gibt den «Chair Zero», den leichtesten Campingstuhl der Welt. «Wir haben Leute gesehen, die mit unserem «Chair One» am Rucksack den Berg hinauf sind», erzählt Taehun. «Wir konnten das gar nicht verstehen, aber sie meinten: Der wiegt doch nichts. Da dachten wir: Das muss schon noch leichter gehen.» Fast 500 Gramm sparten sie beim Helinox Stuhl «Zero» ein …
Und da ist noch eine andere Sache, bei der immer noch was gehen muss: Jake und Young arbeiten schon seit Jahrzehnten an der ökologischen Optimierung ihrer Produkte. Alle Stangen sind recycelbar und Jake erfand einen mechanischen «Green Anodizing»-Prozess, mit dem sich nicht nur chemische Substanzen einsparen liessen, sondern auch viel Wasser und CO₂. Jetzt kommt der neue Helinox Campingstuhl «Chair One (re)»: Noch gemütlicher, noch ausgefeilter und gefertigt aus 100 Prozent recyceltem Polyester und einem Rahmen, der dank neuem Herstellungsverfahren 30 Prozent an Material einspart.
Doch das nachhaltigste Produkt ist das, das lange lebt. Dessen ist sich auch Taehun bewusst – und das bringt ihn zu einer seiner liebsten Phasen der Produktentwicklung: dem Härtetest. Demonstrativ springt er auf, zerrt und reisst an seinem «Chair One». «Die Mission ist: Versuch es zu zerstören!», sagt er und grinst. «Am Anfang steht der Menschen-Test. Komfort, Balance, Robustheit. Und dann kommen die Maschinen und wir schauen, was passiert, was 400 Kilogramm Eisen dem Helinox Stuhl aus Stoff, Naht und Alu antun können.» Mensch und Maschine müssen sich an dem koreanischen Lasagne-Rezept die Zähne ausbeissen. Erst dann kommt das Möbelstück auf den Camping-Markt.
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