In einer Zeit vor der Tablette
9. Oktober 2020
In meiner dreiteiligen Reise durch den mittelalterlichen Backyard zeige ich auf, was wir an Wissen wieder auffrischen können. Das erste Thema: Heilkräuter, die direkt vor unserer Haustüre wachsen.
Fotos: Susanne Mader, Jonas Näf
«Was wächst denn da?» Diese Frage stelle ich mir so oft, wenn ich vor meiner Haustüre spazieren gehe. Wer es meist beantworten könnte, wäre wohl meine Grossmutter. Sie wüsste auch gleich, dass man aus diesem Kraut eine nützliche Salbe herstellen kann. Viele Generationen vor mir verfügten über allerlei Kräuterwissen. Ich bin mit Ibuprofen gegen Kopfschmerzen aufgewachsen, meine Grossmutter mit Pfefferminzöl. Auch wenn ich den Entwicklungen der Schulmedizin dankbar bin, schaue ich manchmal nachdenklich auf die eigene Hausapotheke. Muss es denn immer gleich eine supereffiziente, hoch konzentrierte Tablette sein? Wäre es nicht schön, die Kräuter in der eigenen Umgebung bei kleineren Beschwerden nutzen zu können? Genau darum werfe ich gerne einen Blick ins Mittelalter, in eine Zeit vor der Tablette, als der Mensch noch viel abhängiger war von der nahen Natur. Heilkräuter haben eine lange Tradition und wurden bereits im Mittelalter gezielt eingesetzt. Einerseits gab es das Wissen der Volksmedizin, andererseits beschäftigte man sich auch im gelehrten Umfeld mit Heilkräutern. Dabei war durchaus ein wissenschaftlicher Anspruch vorhanden. Gerade in den Klöstern, den Wissenszentren der Zeit, wurden diverse Heilpflanzen angebaut und verarbeitet. Heute ist uns vor allem das schriftlich festgehaltene Wissen aus den gelehrten Kreisen erhalten geblieben. Viele Schriften beziehen sich sogar auf antike Grössen wie Plinius oder Dioskurides, was uns zeigt, dass Heilkräuter bereits damals eine Tradition besassen.
Lasst uns das alte Wissen auffrischen, damit wir die Natur in unserem Backyard wieder mehr verstehen und nutzen können! Wir machen hier den Start mit drei Pflanzen, die besonders oft an unserem Wegrand zu finden sind.
Schafgarbe: Achillea millefolium
Die gemeine Schafgarbe gehört zur Familie der Korbblütler und ist eine krautige Pflanze, die in der ganzen Schweiz verbreitet ist. Der botanische Name millefolium heisst tausendblättrig und weist auf das «tausendfach» gefiederte Blatt der Schafgarbe hin. Der Zusatz achillea bezieht sich auf den trojanischen Kriegshelden Achilles, von dem es heisst, er habe die Schafgarbe zur Behandlung von Wunden eingesetzt. Die deutsche Bezeichnung kommt wahrscheinlich daher, dass die Schafe das Kraut frassen oder gar im Krankheitsfall damit gefüttert wurden. Bereits im Mittelalter wurden das Kraut und die Blüte z. B. gegen Verletzungen an Haut und Schleimhäuten, bei Zahnschmerzen, Koliken und Verdauungsstörungen angewendet. Ebenso fand es schon sehr früh Anwendung bei Frauenbeschwerden. Schafgarbe wurde aber nicht nur als Heilkraut genutzt, es war auch Bestandteil der sogenannten Grut (Bierwürze) und wurde als Gelbfärbemittel für Wolle verwendet.Blütezeit: Juni bis Oktober.
Grösse: 20 – 120 cm.
Achtung Verwechslungsgefahr:
• Riesenbärenklau: giftig.
• Gefleckter Schierling: giftig.
• Wilde Möhre: ungefährlich.
Wirkung: Die Schafgarbe besitzt Gerbstoffe, welche die Blutgerinnung fördern. Zudem wirkt die Pflanze leicht antiseptisch, wundheilend und krampflösend.
Anwendungsbeispiel für unterwegs: Wundauflage zur Blutstillung bei kleinen Schnitt- oder Schürfwunden. Die frischen Blätter werden zerrieben und auf die gesäuberte Wunde gelegt, allenfalls mit einer Mullbinde fixieren.
Schafgarbentee: Bei Magendarm- und Menstruationskrämpfen sowie bei Sodbrennen wirkt Schafgarbentee krampflösend. Dazu 2 Teelöffel frisches/getrocknetes Kraut mit ca. 150 ml kochendem Wasser übergiessen. 10 Min. ziehen lassen. 1 – 3 Tassen pro Tag.
Thymian: Thymus vulgaris
Der echte Thymian gehört zu der Familie der Lippenblütler und ist ein ausdauernder kleiner Halbstrauch und eine der ältesten Würz- und Heilpflanzen überhaupt. Im Altertum wurde Thymian vermutlich von den Sumerern als Heilpflanze angebaut und die Ägypter und Etrusker benutzten die Pflanze beim Einbalsamieren. In der Antike ist der Thymian bereits als Mittel gegen Husten belegt und auch im Mittelalter taucht er immer wieder in Schriften von Gelehrten auf. Der Name könnte auf das griechische thymos (θυμός = Mut, Kraft) und/oder thyein (θύειν = ein Rauchopfer darbringen) zurückführen, schliesslich war er auch ein Räucherkraut bei den Griechen. Es wird aber auch eine Verbindung zum ägyptischen tham oder thm diskutiert, die im Altertum eine Thymianart bezeichnete, die zur Einbalsamierung verwendet wurde.Trockene, steinige Orte mit viel Sonne, Ebene bis Hochgebirge.
Blütezeit: Mai bis Oktober.
Grösse: 5 – 40 cm.
Wirkung: Die wichtigsten Inhaltsstoffe des Thymians sind Gerbstoffe, ätherische Öle und schleimlösende Saponine. Daher besitzt er krampf- und schleimlösende Eigenschaften, er wirkt auswurffördernd und zudem antibakteriell.
Anwendungsbeispiel: Thymian kommt vor allem bei Erkältungen zum Zuge. Er lindert den Husten, fördert das Abhusten und wirkt leicht antibakteriell. Dazu ein paar frische/getrocknete Thymianzweige mit ca. 150 ml kochendem Wasser übergiessen. 10 Min. ziehen lassen. 2 Tassen pro Tag.
Spitzwegerich: Plantago lanceolata
Der Spitzwegerich ist ein sommergrünes, widerstandsfähiges Kraut, das in der ganzen Schweiz sehr häufig vorkommt und zu den Lippenblütlern zählt. Die Bezeichnung Wegerich bedeutet vermutlich «Wegherrscher». Es steckt das althochdeutsche Wort rīhhi darin, was mit Herrscher oder Herrschaftsgebiet übersetzt werden kann. Der Name stammt wohl daher, dass die Pflanze beinahe an jedem Wegrand anzutreffen ist. Spitzwegerich gegen Zaubersprüche: Hildegard von Bingen war eine mittelalterliche Universalgelehrte aus dem klösterlichen Umfeld, ihre medizinischen Schriften aus dem 12. Jahrhundert finden bis heute Anklang. Nebst nützlichem Pflanzenwissen findet man aber auch einige lustige Stellen darin, so empfahl sie z. B. den Spitzwegerich als pulvis contra venenum et contra magica verba, also als Pulver gegen Gift und gegen magische Worte (Zaubersprüche)>Blütezeit: Mai bis September.
Grösse: 5 – 50 cm.
Wirkung: Der Spitzwegerich wirkt reizmildernd, leicht hustenlösend, antibakteriell und entzündungshemmend. Unter anderem sind diese Wirkungen auf Schleim- und Gerbstoffe zurückzuführen. Andere Wegerich-Arten (Breitwegerich und Mittlerer Wegerich) wirken übrigens genauso gut.
Anwendungsbeispiel für unterwegs: Insektenstiche. Bei Stichen zerreibt man das Blatt und reibt den Saft auf den Insektenstich, nach kurzer Zeit lässt der Juckreiz nach und die Schwellung bildet sich zurück.
Bei Husten und Heiserkeit: Als Tee oder Hustensirup.
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